Trauerpredigt Annette von Biela

© Daniel Müller / Portrait Helga Weyhe

Trauerfeier für Helga Weyhe
Freitag, 12. Februar 2021, 10.45 Uhr
Kirche St. Marien in Salzwedel
Trauerpredigt · Pfarrerin Annette von Biela

Lesung: Joh. 14, 1-6
141 Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!
2 In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?
3 Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.
4 Und wo ich hingehe, dahin wisst ihr den Weg.
5 Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?
6 Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.
 
Predigt zu Joh. 14,6
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt
zum Vater denn durch mich. Johannes 14, 6
 
 
Liebe Familie, liebe Wegbegleiter, liebe Trauergemeinde, dieser Bibelvers wurde Helga Weyhe zu ihrer Konfirmation am 3. April 1938 hier in der St.-Marien-Kirche zugesprochen. Er soll heute über dieser Trauerfeier stehen, in der wir das Leben und Wirken von Helga Weyhe bedenken und würdigen. Dieser Vers soll auch für uns Weisung und Trost sein, weil uns mit dem Tod von Helga Weyhe auch eigene Erfahrungen von Tod und Trauer vor Augen stehen.
 
 
Bibeltext
Der Bibelvers ist aus einer Rede Jesu an seine Jünger entnommen. Vorher hat Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen. Er hat versucht sie auf das vorzubereiten, was mit ihm geschehen würde. Er hat seinen Weg in den Tod am Kreuz gesehen und ist ihn bewusst gegangen. Seine Jünger stehen noch vor der Erfahrung der Trauer und des Abschieds. «Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!» So beginnt Jesus seine Worte an die Jünger. In der Übersetzung der Basisbibel heißt es: «Lasst euch im Herzen keine Angst machen!»
Jesus weiß, wie schwer sein Weg ans Kreuz für die Jünger werden wird. Er erzählt ihnen vom Ziel seines – und ihres – Weges. «In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.»
Jesus erzählt ihnen von Gott, er beschreibt ihnen, wie es bei Gott ist – Gott hat viele Wohnungen – und Jesus selbst bereitet sie für seine Jünger und für uns vor. Jesus beschreibt hier unser Zuhause bei Gott, Jesus bereitet alles dafür vor, dass wir bei Gott geborgen sind. Die Jünger – genauer gesagt, Thomas, der Zweifler – fragt nach: «Wie können wir den Weg wissen?» Und Jesus antwortet ihm: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.»
Das ist keine Wegbeschreibung: dort geht es lang, oder mit dieser Haltung, mit jener Ethik kommst du ans Ziel, ins Reich Gottes. Es ist keine Wegbeschreibung, die nötig ist, sondern eine Beziehung, eine Beziehung, die durchträgt, gleich welche Hindernisse und Umwege auf dem Weg warten. Jesus selbst ist der Weg. Er möchte, dass wir uns auf ihn einlassen, unseren Lebensweg mit ihm gehen.
Welche Gedanken mag sich Helga Weyhe zu diesem Text gemacht haben, als er ihr zur Konfirmation mit auf den Lebensweg gegeben wurde?
 
 
Leben Helga Weyhe
Helga Weyhe wurde am 11. Dezember 1922 in Salzwedel, in der Altperverstr. 11, ihrem Elternhaus, geboren. Und hier starb sie am 4. Januar 2021. Sie lebte inmitten von Büchern, für und von Büchern. Ihre Heimat war und blieb Salzwedel. Von hier aus war sie unterwegs: im Reichsarbeitsdienst in Oberschlesien für ein Jahr nach dem Abitur 1941. Später das Studium der Geschichte und Literatur in Breslau, Königsberg und Wien. Seit 1945 lebte sie wieder in Salzwedel, führte den Buchhandel zusammen mit ihrem Vater, bis sie ihn, 1965, allein übernahm.
Helga Weyhe ist ihrer Heimat immer verbunden geblieben, aber sie ist auch Wege gegangen: schon in der Studienzeit hat sie die Erfahrung von Freiheit gemacht: im Studieren an renommierten Universitäten, aber auch im Denken. Und in besonderer Weise auf ihren Reisen nach Italien: 1951 und 1952 nach Rom und 1954 nach Rom, Florenz, mit Ausflügen nach Pompeji, Neapel und Capri. Diese Reisen sind deshalb so wichtig, weil Helga Weyhe Zeit ihres Lebens davon gezehrt hat – nicht als nostalgische Erinnerung – sondern als Ausgangspunkt ihrer Freiheit im Denken, die sie sich bewahrt hat.
 
 
Wirkung Helga Weyhe – Buchhändlerin, Ehrenbürgerin
Als sie mir von diesen Reisen erzählte, fühlte ich mich mit hineingenommen in diese Weite des Denkens. Und auf besondere Weise waren Weite und Freiheit in ihrem – alten – Laden spürbar und gegenwärtig. Jedes Buch, das man aufschlug, eröffnete eine eigene Welt. Und zu vielen Büchern hatte Helga Weyhe ihren Kunden etwas zu erzählen. Durch ihre Art den Laden zu führen und durch die Bücher, die sie anbot, eröffnete sie Wege und Welten. Das war besonders spürbar, als gegenüber die Volksbuchhandlung war. Verschiedene Welten, getrennt durch die Altperverstr. Sie eröffnete Wege und Welten – und zu ihren Kunden und Besuchern im Laden auch Beziehungen. Gespräche gingen über Verkaufsgespräche hinaus, bis zuletzt erkundigte sich Helga Weyhe interessiert nach dem, was ihren Besuchern im Laden wichtig war. Unaufgeregt und verlässlich, aber auch eigensinnig und selbstbewusst war sie Bürgerin ihrer Stadt Salzwedel, deren Ehrenbürgerin sie seit 2012 war. 2017 erhielt Helga Weyhe den Ehrenpreis des Deutschen Buchhandels in Hannover.
 
 
Dank für ihr Leben und Wirken
Helga Weyhe eröffnete Wege und Welten, immer verbunden mit ihrem Laden und ihrem Selbstverständnis als Buchhändlerin. Eine eigene Familie hat Helga Weyhe nicht gegründet. Sie ist eigene Wege gegangen, auch in Bezug auf ihre Familie und ihre Freunde und Wegbegleiter. 1985 und 1986 konnte sie den Zweig der Familie, der in den USA lebt, besuchen und später, 1995, noch einmal. Sie war beiden Zweigen ihrer Familie verbunden, dem amerikanischen und dem deutschen Zweig, doch es war ihr wichtig, das Verhältnis von Nähe und Distanz immer selbst zu bestimmen. Helga Weyhe war eine starke Frau, die ihren eigenen Weg gegangen ist.
Sie starb am 4. Januar dort, wo sie auch geboren wurde, in ihrem Elternhaus im Alter von 98 Jahren.
Wir sind dankbar für ihr Leben und ihr Wirken, für ihre Nähe und Aufgeschlossenheit, für die Beziehung zu ihr.
«Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.» So sagt es Jesus zu seinen Jüngern. So ist es Helga Weyhe zugesagt worden. Wie sie ihre eigenen Wege im Leben gegangen ist, so ist sie auch ihren eigenen Weg mit Jesus Christus gegangen. Darüber hat sie kaum gesprochen, vielleicht, weil es so selbstverständlich war, den Lebensweg nicht allein zu gehen.
So ist sie jetzt angekommen bei Gott, wo Jesus ihr den Platz bereitet hat.
Das ist die Hoffnung, ja die Gewissheit im Glauben, dass Jesus uns den Platz bei Gott bereitet. Er lädt uns ein, den Lebensweg mit ihm zugehen: in Weite und Freiheit.
«Lasst euch im Herzen keine Angst machen.»: das gilt für Helga Weyhe und für uns, in den Kämpfen im Leben und im Sterben. Weil Jesus Weg, Wahrheit und Leben ist, sind unsere Sorgen und Nöte, unsere Trauer und unsere Schmerzen nicht das letzte Wort. Das Ziel ist die Geborgenheit in Gott, begonnen im Hier und Jetzt, vollendet in Gottes Ewigkeit. Amen.
 
Pfarrerin Annette von Biela, Kirche St. Marien Salzwedel. Es gilt das gesprochene Wort.